Einführung/Begriffsklärung:
Die landläufige Definition stellt sich unter Allee eine Straße vor, an der Bäume stehen. Doch das ist ein Irrtum: der Begriff „allée“ stammt vom französischen Wort „aller“ (lat. ambulare = spazieren gehen, gehen) und nicht von „arbre“ (lat. arbor = Baum). Wörtlich übersetzt heißt es also Gehbahn – und so wird es auch in den ersten Lehrbüchern der Gartenkunst im 17. Jahrhundert definiert: Allee – ein Gang, ein Hin- und Hergang, ein Spazierweg, ein Lustweg in einem Garten oder anderswo.
Alleengeschichte: Alleen stellten in der Gartengeschichte ein wichtiges Gestaltungselement dar und haben daher über Jahrhunderte hinweg vielfältigen Schutz genossen. Als feudale und bürgerliche Symbole sind sie eine Zierde für Gärten und Landschaft und liefern Kühlung und Windschutz sowie Holz und Früchte. Baumalleen wurden bereits in der Antike verwendet. Im Orient, in Ägypten und im alten Rom waren sie beliebte Gestaltungselement der gärtnerischen Kunst. In Mitteleuropa wurde die Allee erst in der Renaissance wiederentdeckt. Mit Beginn des 15. Jahrhunderts schieben sich die oberitalienischen Machtzentren Mailand und Florenz in den kulturellen Vordergrund und werden nun zum Lehrmeister der anderen europäischen Länder. In der Gartenkultur kommen die italienischen Ideen mit den Kavalierstouren über die Alpen – über die Straßen und Wege der Kaufleute und Händler. Und so gelangten sie auch nach Ortenburg. Ein erstes und sehr wesentliches Element war dabei die Allee: ein Weg, der zu Repräsentationsbauten führt, wurde zu beiden Seiten mit Bäumen bepflanzt.
Alleen in Deutschland: Erst seit einigen Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler in Deutschland mit der Aufarbeitung der Alleengeschichte. Eine systematische Erfassung und Analyse der Alleen in Deutschland - auch hinsichtlich ihrer Datierung - ist mir bisher nicht bekannt. Und die "Erarbeitung" einer Chronologie der Alleen ist sehr mühsam, denn man kann sich gegenwärtig nur auf sporadische Informationen stützen. Ein erster bundesweiter Ansatz war ein Symposium 2006 in Osnabrück mit dem daraus entstandenen Tagungsband: "Alleen in Deutschland. Bedeutung, Pflege, Entwicklung" (hrsg. von Ingo Lehmann und Michael Rohde, Leipzig 2006). In dieser Publikation verweist der Potsdamer Gartenhistoriker Clemens Alexander Wimmer auf die vermutlich ersten Alleen in Mitteleuropa überhaupt und zwar auf die Hellbrunner Allee in Salzburg 1612-1618 und Wallensteins Allee im böhmischen Gitschin (Jicin) 1630. Im Jahre erfolgte die Erstbepflanzung der wohl bekanntesten deutschen Allee "Unter den Linden" in Berlin.
Lindenallee Ortenburg: Der Ortenburger Heimatforscher Walter Fuchs hat recherchiert, dass wahrscheinlich Graf Joachim von Ortenburg (1530-1600) die Lindenallee pflanzen ließ. Als Quelle diente ein Stich aus dem frühen 17. Jahrhundert – darauf sehen wir bereits die Allee als herausragendes, weithin sichtbares und prägendes Gestaltungsmittel abgebildet.
In einem Symposium des Kulturreferats des Landkreises Passau 2005 - zur Ortenburger Gartengeschichte -nahm Hermann Scheuer eine erste wissenschaftliche Einordnung vor. In dem Tagungsband des Landkreises Passau – „Ein Hauch von Gold“ - beschreibt er die Situation wie folgt: Die Lindenallee, die vermutlich Graf Joachim von Ortenburg (1530-1600) pflanzen ließ, führt vom Markt Ortenburg über eine Anhöhe hinauf zum Schloss. Auf einem Stich von ca.1630 sehen wir die Allee als herausragendes, weithin sichtbares und prägendes Gestaltungsmittel. In der imposanten Allee mit heute noch über 100 Linden befinden sich einige prächtige Exemplare, die noch aus der Zeit Graf Joachims stammen dürften. Aus dieser Zeit sind neben den Linden weitere herrschaftliche Besonderheiten erhalten geblieben. Parallel zur Lindenallee verläuft der Laborantenweg, der Arbeiterweg, der von den Bediensteten auf dem Weg von und zum Schloss benutzt werden musste. Direkt an der Straße gelegen lässt sich noch eine Turnierwiese finden, sie war weiteres Mittel zur Darstellung der Macht an den fürstlichen Höfen in der Renaissance. Ob jedoch Graf Joachim den Turnierplatz im Schatten der mächtigen, wehrhaften Schlossmauern aufschütten ließ ist noch fraglich. In Italien ausgebildet und von italienischen Ideen beflügelt, ließ er jedoch in Ortenburg einen Weinberg anlegen. Die Beschreibung der Zäune von 1597 bei den Schlössern Alt- und Neuortenburg gibt Aufschluss, dass ein Baumgarten und ein Weingarten am Schlossberg vorhanden und durch einen Zaun zu schützen waren. „[….] Erstlich der Zaun Umb den Paumbgartten hinter dem Stadl bey dem Schloß Allten Ortttenburg. Und alß dan auch umb waydt hintter Schloß und umb den weingarten neben dem Schloß […].
In dem Buch "Alleen in Deutschland. Bedeutung, Pflege, Entwicklung" gibt es eine Einordnung der Ortenburger Lindenallee. Rainer Herzog, Leiter der Gärtenabteilung in der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen auf Schloss Nymphenburg, beschäftigt sich wissenschaftlich seit 30 Jahren mit der Alleengeschichte in Deutschland. Er formuliert: „Die Lindenallee in Ortenburg scheint nach all dem nicht nur zu den ältesten Alleen in Bayern zu gehören, wobei ich hinzufügen muss, dass ich bislang keine ältere in Erfahrung bringen konnte, sondern in ganz Deutschland“.
Schlussgedanken: Es ist das Ziel der gesamten Veranstaltungsreihe des Landkreises, die Menschen aus der Heimat einzubinden und so die Schätze der Gartenkunst in der Region wieder ins Bewusstsein zu rufen. Unsere langjährige, ehrenamtliche Mitarbeiterin Susanne Weishäupl lieferte dazu die wunderbare Idee von dem „Tag der Lindenallee“ in Ortenburg. Landrat Hanns Dorfner: „Die Lindenallee ist ein weithin sichtbares Wahrzeichen für unsere Kulturlandschaft und damit von unschätzbarem Wert für unsere Region“. Die Ortenburger Lindenallee ist vermutlich eine der ältesten Alleen in ganz Deutschland, sie stiftet Identität und ist wichtiger Lebensraum für viele Tiere. Auf dieses Kulturgut und prägende Gestaltungsmittel kann unsere Region wahrlich stolz sein, jedoch ist der weitere Fortbestand keine Selbstverständlichkeit. Für die weitere Erforschung der Ortenburger Gartengeschichte und auch der Lindenallee ist weitere wissenschaftliche Quellen- und Feldforschung unumgänglich, dieses wird eine wichtige Zukunftsaufgabe der „Gartenkunst im Passauer Land“ sein.**
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